Unter Songwritern gibt es zwei weit verbreitete Herangehensweisen an das Songtexte schreiben:
Die einen schreiben einfach drauf los, bis sie das Gefühl haben "jetzt ist der Text fertig".
Die anderen schreiben strukturell vorgegeben - meistens erst einen Chorus, dann die Strophen und am Ende brauchen sie noch Text für eine Bridge.
Doch in beiden Herangehensweisen kommen die Songwriter oft an einen Punkt, an dem sie nicht mehr weiter wissen.
Die einen haben eigentlich nie so wirklich das Gefühl, dass ihr Text fertig ist,
und die anderen finden einfach nicht die passenden letzten beiden Zeilen für die Bridge. Oder die zweite Strophe...
Aber was macht eigentlich einen "guten/fertigen" Songtext aus?
3 Bausteine um gute Songtexte zu schreiben
Natürlich sind Kreativität und Struktur zwei sehr wichtige Aspekte im Songwriting. Doch erst die im Folgenden beschriebenen drei INHALTLICHEN Bausteine machen einen wirklich gelungenen Songtext aus - einen Songtext, der die Hörer fesselt, sie mitten ins Herz trifft und nicht mehr los lässt:
1. Die Beschreibung
In der Beschreibung wird entweder eine Geschichte erzählt oder ein Bild Stück für Stück ausgemalt. Ein Paradebeispiel für einen Songtext mit einer Geschichte ist der Song "Griechischer Wein". Die Bild-Ausmal-Variante verwenden Songwriter z.B. wenn sie über ihre Gefühle singen. Ein klasse Bild-Songtext ist "Liebe meines Lebens". Geschichte oder Bild sind die beiden Extreme - natürlich sind auch Zwischenformen möglich. Die Beschreibung stellt den eigentlichen Inhalt des Songtextes.
2. Die Zusammenfassung
Die Zusammenfassung beschreibt einen übergeordneten "Ist-Zustand", der in dem Songtext als Kernaussage vermittelt werden soll. Das kann sehr vielseitig angewendet werden (hier ist Eure Kreativität gefragt ;-), deshalb hier ein paar Beispiele:
- Liebe meines Lebens - "Weil Du die Liebe meines Lebens bist..."
- Perfekte Welle - "Das ist die perfekte Welle, das ist der perfekte Tag..."
- Astronaut - "Ich heb ab, nichts hält mich am Boden, ... wie ein Astronaut..."
- Griechischer Wein - "Griechischer Wein ist so wie das Blut der Erde, ..."
Ihr merkt schon - oft findet sich die Zusammenfassung schon im Songtitel wieder! Atemlos - "..."
Oft wird die Zusammenfassung als eine Art "Antwort" auf die Beschreibung formuliert.
3. Die Pointe
Kein Witz! Ein Witz ohne Pointe ist kein Witz. Warum? Er wird nicht aufgelöst. Dasselbe gilt auch für Songtexte. Wie die Zusammenfassung kann auch eine Song-Pointe sehr vielseitig und kreativ eingesetzt werden, deswegen hier wieder ein paar Beispiele:
- Liebe meines Lebens - In der Bridge erfahren wir, dass der Sänger die Liebe seines Lebens niemals treffen wird. Das gibt der obigen Kernaussage eine komplett unerwartete Wendung. Ein Messerstich mitten ins Herz.
- Astronaut - in der Bridge besinnen sich die Herren Sido und Andreas Bourani mit Blick aus dem Weltall zurück auf die Erde, dass wir eigentlich am leben sind, "um zu lieben und zu sein". Das Gegenteil von dem in den Strophen beschriebenen Zustand.
- Männer mit Bärten - In der letzten Strophe wird klar, worauf das wilde, anfangs als Abenteuer beschriebene Seefahrerleben hinauslaufen wird...
Und da Ausnahmen die Regel bestätigen, noch DAS Beispiel für einen Songtext ohne Pointe, da der Schmerz der griechischen Gastarbeiter nicht aufgelöst werden soll:
Griechischer Wein - wissend, dass es aus dem eben genannten Grund keine Pointe gibt, könnte man die letzten beiden Zeilen des Chorus' als Pointe zitieren: "in dieser Stadt werd' ich immer nur Fremder sein, und allein."
Die Bausteine in der Songstruktur
Die beiden geläufigsten Songstrukturen in unserer westlichen Musikwelt sind vereinfacht formuliert:
1. Strophe - Chorus - Strophe - Chorus - Bridge - Chorus, z.B. jeder moderne Popsong
2. Strophe - Strophe - Strophe - ..., z.B. Männer mit Bärten
Die klassische Aufteilung der drei inhaltlichen Bausteine in einem Strophen-Chorus-Bridge-Songtext wäre dann:
- Die Beschreibung in den Strophen, wobei von Strophe zu Strophe eine klare inhaltliche Steigerung erkennbar sein sollte. Im Song Astronaut wird in Strophe 1 der Blick auf unser Leben beschrieben, in Strophe 2 der Blick von "hier oben" zurück auf die Welt.
- Die Zusammenfassung im Chorus. Jeder nächste Chorus erhält durch die Steigerung der Strophen mehr Gewichtung. "Ich heb ab, ... wie eine Astronaut" hat nach der ersten Strophe die Aussage "Ich will hier weg!" Nach der zweiten Strophe hat der textlich genau gleiche Chorus die Aussage "Ich brauche einen klaren Blick von oben." Und dieser "klare Blick von hier oben" führt letzten Endes zur
- Pointe, die sich meistens in der Bridge offenbart.
In Strophenliedern finden wir die Beschreibung natürlich auch in den Strophen (wo sonst?).
Da es keinen Chorus in dem Sinne gibt, haben Strophenlieder einen sogenannten Refrain: die letzte Zeile oder die letzten beiden Zeilen jeder Strophe wiederholen sich und funktionieren somit als Zusammenfassung. Männer mit Bärten ist dahingehend selbsterklärend. Die Pointe offenbart sich dann in der letzten Strophe.
Diese drei Bausteine sind vom Genre unabhängig. Sie gelten für Jazz und Blues genauso wie für HipHop oder Rock. Und auch für Schlager.
Die Erfahrung hat gezeigt, dass gerade Songtexte, bei denen Ihr denkt "Da fehlt noch was" von einer Überprüfung hinsichtlich dieser drei Bausteine profitieren.
Zur Vertiefung empfehle ich Euch diese beiden Bücher zum Thema Songwriting:
Handbuch für Songtexte von Edith Jeske und Tobias Reitz und
Writing better Lyrics von Pat Pattison
Was meint Ihr dazu? Probiert es aus und schreibt mir!
Gerne überprüfe ich auch Eure bestehenden Songtexte hinsichtlich dieser drei Bausteine und gebe Euch dazu Feedback!
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